Die Steinfischerei hat unsere Region mehr als geprägt. Überall zeigen sich Relikte dieser Zeit. Die größten Veränderungen sind jedoch für viele unsichtbar unter der Wasseroberfläche versteckt.
Hafenmolen aus großen Steinen lassen sich an fast jedem Hafen an den Küsten der Ostsee antreffen. Sie sind eines dieser Relikte der intensiven Befischung der Ostsee, die vielen Menschen gar nicht bekannt ist. Über hundert Jahre wurde massiver Raubbau an der Unterwasserwelt der Ostsee betrieben. Wie das ganze ablief, welche Folgen es hat und warum überhaupt Steine der Ostsee entnommen wurden, beschreibe ich im Folgenden.
Die Gebiete der deutschen Ostseeküste sind geprägt von der Weichsel-Eiszeit. Sand, Ton und Mergel bilden die Bodenschicht in Schleswig-Holstein, ein Relikt der Gletscher. Gebirge, die zum Abbau von Steinen genutzt werden konnten, fehlten. Zahlreiche Steinblöcke, die mit den Gletschern transportiert wurden und beim Abschmelzen „liegengeblieben“ sind, waren die einzige vorhandene Steinquelle. Sie lagen in den Küstengebieten der Ostsee. Daher werden sie als Ostseefindlinge bezeichnet.
Seit etwa 1800 wurden Steine aus dem Meer gezogen, um diese für Küstenschutzbauten, Hafenmolen, Straßen, Mauern oder Gebäude zu nutzen. Die Steine wurden in der ursprünglichen Form verbaut oder weiterverarbeitet zu Pflaster- oder Schüttsteinen. Zuerst konzentrierte man sich auf die Fischerei der Steine im Flachwasser bis etwa sechs Meter Wassertiefe. Im Jahre 1930 wurden ein Verbot für das Abfischen von Steinen bis zu einer Tiefe von sechs Metern ausgesprochen und von dort an wurden die Steine bis in Tiefen von 20 Metern abgefischt. Noch bevor ein Verbot der Steinfischerei ausgesprochen werden konnte, wurde grob im Jahre 1970 die Steinfischerei von den Fischern selbst eingestellt. Der Grund dafür war, dass das Vorkommen vollkommen an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste abgefischt war.
Aber welche Auswirkungen hatte dieses für die Unterwasserwelt?
Wenn man bedenkt das zum Beispiel der Olympiahafen in Kiel-Schilksee, der Fährdamm in Puttgarden oder der Yachthafen in Damp mit diesen von der Steinfischerei erworbenen Steinen erbaut wurden, kann man sich in etwa die Menge an Steinen denken, die aus der Ostee gefischt wurden. Dabei sind diese Bauten nur ein Bruchteil, der entstandenen Bauwerke mithilfe dieser Ostseefindlinge.
Schätzungsweise sollen 3,5 Millionen Tonnen Steine alleine vor der Küste Schleswig-Holsteins aus der Ostsee entnommen wurden sein. Das entspricht in etwa 18Mal das Gewicht der Elbphilharmonie oder 3500Mal das Gewicht des Eifelturms. Welchen Mengen an anderer Stelle aus Gebieten der Ostsee entnommen wurden, führe ich hier nicht auf.
Diese 3,5 Millionen Tonnen könnten in etwa 2,5 Millionen Steinen entsprechen. Wissenschaftliche Berechnungen haben ergeben, dass wir hierbei von einer Hartsubstratfläche, die der Besiedelung für Organismen zur Verfügung stand, von 5,6 Quadratkilometer ausgehen können. . 5,6 Quadratkilometer entsprechen der Größe von 784 Fußballfeldern. Ausgegangen ist man dabei, dass 1/3 jedes Steines im Boden versunken war und nur 2/3 als Nutzfläche anzusehen waren.
5,6 Quadratkilometer Lebensraum, der der Ostsee entnommen wurde mit extremen Auswirkungen!
Es gibt keine Aufzeichnungen oder wissenschaftlichen Erfassungen über den Zustand der Unterwasserwelt vor 1800. Allerdings gibt es eine Studie, in der das Blasentangvorkommen in der Kieler Bucht von 1950-1988 untersucht wurde. Dieses wies ein Rückgang des Bestandes dieser Braunalge von 90% auf. Es konnte ebenfalls nachgewiesen werden, dass Blasentang einst in Tiefen von bis zu neun Metern vorkam. Durch die Steinfischerei, auch in Tiefen von mehr als sechs Metern, ist heutzutage das Vorkommen fast ausschließlich nur noch in Tiefen von ein bis drei Metern nachweisbar. Der Rückgang des Bestandes des Blasentangs in der kompletten Ostsee wird auf über 95% geschätzt. Die Erklärung hierfür und die Verbindung zur Steinfischerei ist dabei einfach zu erklären. Blasentang und andere Braunalgen, wie zum Beispiel der Sägetang, besitzen keine Wurzeln. Sie benötigen Hartsubstrat, um sich dort mit ihrem Haftfuß anheften zu können.
Durch das Abfischen der Steine fehlt den Braunalgen eine Besiedelungsfläche. Dazu kommt noch die Eutrophierung des Wassers, die das Vordringen des Sonnenlichts in größere Wassertiefen nicht mehr im genügenden Maße zulässt und somit eine Verbreitung in die größeren Tiefen unterbindet. Aber auch viele anderen auch tierische Lebensformen brauchen die Hartsubstrate als Besiedelungsfläche. Blumentiere, Schwämme und Manteltiere sind dabei nur einige Beispiele. Selbst Miesmuscheln können sich mithilfe von vorhandenen Substraten effektiver verbreiten. Wissenschaftlich gibt es hier jedoch keine Erhebungen, aber gerade an der Flensburger Förde zeigt sich, wie schwer und teilweise unmöglich es für Miesmuscheln ist neue Miesmuschelbänke aufzubauen, nachdem diese zum Beispiel kommerziell abgefischt wurden. Der Grund dafür ist der Weichboden, der in Tiefen ab wenigen Metern in der Flensburger Förde anzutreffen ist, denn hier können die juvenilen Tiere einfach versinken. An Steinfeldern ist allerdings dieses Versinken nicht gegeben und eine Neuansiedlung deutlich einfacher. Dabei ist es besonders wichtig zu wissen, dass sowohl Miesmuschelbänke, wie auch die Algenansammlungen von Blasentang ein komplexen Lebensraum für zahlreiche Meeresorganismen bilden und einen entscheidenen Faktor im gesamten Lebensraum Ostsee einnehmen.
Das Einbringen von Steinfeldern an der Küste Schleswig-Holsteins zeigt, welches Potential noch immer in der Ostsee schlummert, jedoch seiner Besiedelungsgrundlage beraubt wurde. Der starke Bewuchs, der sich an diesen Steinen bildet, die erhöhte Biodiversität gerade hinsichtlich sessilen Lebensformen ist definitiv nachweisbar. Auch die zahlreichen Wracks in der Ostsee, die in Tiefen bis 20 Meter liegen zeigen alle eine starke Ansiedlung von Organismen. Vorwiegend Blumentiere sind zum Beispiel am Wrack der Inger Klit vor Neukirchengrund zuhauf vorhanden, und verhüllen das Wrack so stark, dass dieses kaum noch als Schiffwrack wahrzunehmen ist.
Die Unterwasserwelt im Steintrümmerfeld, wie wir sie an wenigen Stellen der Ostseeküste haben, lässt erahnen welches Potential die Ostsee hat. Die Biodiversität und Individuenanzahl der dort anzutreffenden Lebensformen hebt sich deutlich von Gebieten ohne Steinansammlungen ab.
Die Neuanlegung von Steinfeldern in Form von künstlichen Riffen an den richtigen Stellen unserer Ostsee bedeutet einen Gewinn für die Unterwasserwelt. Strömungsexponierte Gebiete mit festem Untergrund in der Flensburger Außenförde würden mit Hilfe von künstlichen Riffen sicherlich in kurzer Zeit eine deutliche Artenansammlung aufweisen. Die Positionierung von Riffen in der Innenförde muss dabei sehr stark reflektiert werden, da die Strömung ein wesentlicher Bestandteil für eine positive Entwicklung der Riffe darstellt und die Bildung Detritusansammlung zwischen den Steinen und damit eine zunehmende Sauerstoffzerrung an genau diesen Stellen, vermindert.
Der Mensch bzw. das Land Schleswig-Holstein hätten somit die Chance der Unterwasserwelt ein kleines bisschen Lebensraum zurückzugeben, nachdem hier über viele Jahrzehnte ein riesiger Schaden der Ostsee zugefügt wurde.